Als Monatsgedichte-Jurorin im Juli für das Thema „Mathematik und Dichtung“.

kubus-gedichtEine liebe Texttreff-Kollegin, Michaela Didyk, hat mich vor einiger Zeit gebeten, im Rahmen ihres sehr eindrucksvollen wie erfolgreichen Lyrikprojekts „Monatsgedichte“ als Jurorin für den Monat Juli eine Begründung zu dem von mir ausgesuchten Gedicht zu verfassen. Das Thema lautete „Mathematik und Dichtung“. Als passionierte Leserin von Gedichten, aber auch als leidenschaftliche Mathematikerin konnte ich der Versuchung nicht widerstehen. Hier die Frucht dieser erfüllenden Arbeit:

Mathematik und Poesie – das grenzenlose, in Licht getauchte, luftige Reich der Ordnung und Klarheit und der tiefe, dunkle, geheimnisvolle Zauberwald: Die Wechselwirkungen dieser nach Oswald Egger „verwandten Denkarten“ gehen im Gedicht, für das ich mich im Rahmen dieses Projekts entschieden habe, eine geglückte Verbindung ein. Doch scheint das geistig kühle, von jeglichem Überschwang gereinigte Element zu dominieren.

„kubus“ verschließt sich einem einfachen Zugang, allzu transparente Logik wird in den Hintergrund verbannt. Es handelt sich hier um eine Komposition, die nicht unbedingt verstanden werden will, in der das Unsagbare lediglich anklingt, angedeutet wird. Das Gedicht sticht durch seine schlichte äußere Form hervor. Die reimlose, sechs Zeilen umfassende Komposition weckt bereits optisch Assoziationen an die Fläche eines Kubus, das Quadrat, das die Erde, die Materie, das Geschaffene symbolisiert. Was es aber damit auf sich hat, bleibt noch verborgen. Das Wort „symmetrisch“ springt dem Leser durch seine optische Hervorhebung ins Auge, und damit sind wir auch schon mitten im Thema. Das lyrische Ich erklärt, „wie die welt nicht“ sei, also rund, symmetrisch. Im Gegenteil, sie ist ein kantiger Würfel. Der Schein trügt also, aber auch das erschließt sich dem Leser erst durch einiges Nachdenken. Nichts ist so, wie es scheint, alles also eine Frage des Blickwinkels?

Das Sinnliche kommt in Gestalt von Fröschen und Fliegen daher und bildet den Gegenpol zur mathematischen Klarheit, Ordnung und Symmetrie. Sinnliches und Geistiges werden mittels eines mathematischen Vokabulars miteinander verwoben und bringen bizarre Neuschöpfungen hervor, die in eine dissonante Spannung zueinander geraten. Die Welt ist eben nicht symmetrisch, verbindet vielmehr Gegensätzliches auf irritierende Weise: Von „froschschenklige(n) summen“ ist die Rede und von einem „fliegenquadrark“ (einem „quadratischen Fliegengitter“?). Und nicht zuletzt wird in diesem lyrischen Werk die Lust der Dichterin/des Dichters am Spielerischen („fliegenquadrark“) offenbar, am Spiel der Sprache und der Phantasie, an der absoluten Freiheit des schöpferischen Geistes.

In „kubus“ bleiben einige Rätsel ungelöst und viele Fragen offen, weil die Komposition sich einem begrenzenden Verstehen entzieht. Hier ist also der aktive, mitwirkende Leser gefragt, der sich mit einem solchen lyrischen Werk intensiv auseinandersetzen muss, um so nah wie möglich zu dessen Kern vorzudringen. Letztlich bleibt aber immer ein Rest des Unbestimmbaren, der sich nicht erklären lässt. Und das macht die Faszination solcher Sprachkunstwerke aus.

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Neugierig auf das Gedicht geworden? Dann folgen Sie bitte diesem Link: https://blog.unternehmen-lyrik.de/ein-kubus-fur-das-monatsgedicht-im-juli/ Hier finden Sie das „kubus“ betitelte lyrische Werk sowie weitere interessante Gedichte und Jurorenstatements. Nehmen Sie sich ruhig Zeit, es lohnt sich. Viel Spaß beim Stöbern!

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